Müssen vor der Beauftragung einer Kanzlei mehrere Angebote eingeholt werden? Nach aktueller höchstrichterlicher Linie ist die Anwaltswahl Vertrauenssache; ein Angebotswettbewerb wird nicht verlangt. Für die Praxis bedeutet das weniger Vergabeformalismus, aber höhere Anforderungen an Beschlussqualität, Budgetdisziplin und Dokumentation. Dieser Leitfaden ordnet die Rechtslage ein, beschreibt einen schlanken, rechtssicheren Mandatierungsprozess samt Nachgenehmigung im Eilfall, zeigt, wie Verwalter Kosten steuern und Liquidität sichern, und nennt nachvollziehbare Auswahlkriterien. Am Ende finden Sie eine Muster‑Beschlussvorlage für die nächste Eigentümerversammlung. Als vertiefende Lektüre eignet sich der Beitrag Grenzen der Beschlusskompetenz in einer Eigentümergemeinschaft, der einordnet, welche Entscheidungen zwingend der Versammlung vorbehalten sind und welche delegierbar sind: Grenzen der Beschlusskompetenz in einer Eigentümergemeinschaft.
Rechtslage und Kernaussage der Entscheidung
Rechtsgrundlage der anwaltlichen Vertretung ist § 27 WEG: Der Verwalter vertritt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) gerichtlich und außergerichtlich; inhaltliche Leitplanke bleibt § 19 WEG (ordnungsmäßige Verwaltung). Über das Ob einer Beauftragung entscheidet allerdings die Versammlung nach § 23 WEG; ein ordentlicher Beschluss ist daher regelmäßig erforderlich. Mit Urteil vom 18.07.2025 (V ZR 76/24) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass bei der Mandatierung von Rechtsanwälten – und ebenso von Sachverständigen – keine Pflicht zur Einholung mehrerer Vergleichsangebote besteht. Die Begründung ist praxisnah: Juristische Leistungen lassen sich nicht zuverlässig über den Preis vergleichen; maßgeblich ist die Eignung für den konkreten Fall, also Fachgebiet, forensische Erfahrung, Kapazität, Verständlichkeit und strategische Passung.
Dieser Maßstab unterscheidet sich bewusst von typischen Werk‑ und Dienstleistungen am Gebäude (Handwerk, Facility, Instandhaltung), bei denen Preis und Leistungsumfang vergleichbar sind und die ordnungsmäßige Verwaltung regelmäßig eine Markterkundung erwarten lässt. Für Verwalter folgt daraus eine doppelte Sorgfaltspflicht: Erstens, die Auswahl einer Kanzlei mit belastbaren, dokumentierten Sachgründen zu unterlegen; zweitens, die Beschlussfassung so zu strukturieren, dass Mandatszweck, Vergütungsrahmen und Befugnisse transparent und prüfbar sind. Die Entscheidung ist damit kein Freibrief für intransparente Alleingänge, sondern verschiebt den Fokus von formalen Angebotszahlen auf die materielle Eignung der beauftragten Profis. Besonders in Fristensachverhalten (Anfechtung, Leistungsverzug, Beweisnot) stärkt sie die Handlungsfähigkeit der GdWE, ohne das Kontrollniveau der Eigentümer zu senken, solange Einladung, Beschluss und Aktenführung sauber umgesetzt werden.
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Mandatierungsprozess in der Praxis: Einladung, Beschluss, Eilfall
Der Weg zum Mandat beginnt mit einer formal korrekten Einladung nach § 24 WEG und einem präzisen Tagesordnungspunkt. Bereits in der Einladung sollte die Streitmaterie skizziert werden (zum Beispiel Anfechtung eines Nachschussbeschlusses, Geltendmachung von Mängelrechten gegen den Bauträger), außerdem das Ziel des Mandats (Beratung, Klage, Vergleichsverhandlungen) und der gewünschte Vergütungsrahmen (RVG‑Abrechnung oder Honorarvereinbarung). In der Versammlung fasst die GdWE einen klaren Beschluss, der die Kanzlei konkret bezeichnet, den Verwalter zur Abwicklung bevollmächtigt (Mandatsbestätigung, Vollmacht, Kommunikation, Fristenkontrolle) und zugleich ein Budget inklusive Eskalationslogik festlegt. Bewährt hat sich ein einfaches Modell: Startbudget mit Pflicht zum Zwischenbericht bei 80 Prozent Ausschöpfung; weiterer Aufwand nur per Nachbeschluss.
Getrennte Abstimmungen über Mandat und Vergütung sind zulässig und verbessern Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit. In echten Eilfällen darf der Verwalter unaufschiebbare Maßnahmen veranlassen; rechtssicher wird es, wenn die GdWE dieses Vorgehen zeitnah nachgenehmigt und gleichzeitig Budget sowie Berichts‑ und Dokumentationspflichten festlegt. Lässt sich ein Präsenztermin nicht rechtzeitig organisieren, kann – soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (insbesondere Einstimmigkeit) – der Umlaufweg genutzt werden. Für Ablauf, Fristenführung und Dokumentationsanforderungen bietet der Beitrag Wie funktioniert ein Umlaufbeschluss in einer WEG? einen kompakten Leitfaden: Wie funktioniert ein Umlaufbeschluss in einer WEG?. In der Praxis empfiehlt es sich, bereits mit der Einladung einen ausformulierten Beschlussvorschlag zu versenden, sodass die Versammlung unmittelbar entscheiden kann und das Mandat noch am selben Tag starten kann.
Kostenrahmen, Liquiditätssteuerung und Abgrenzung zu Werkleistungen
Anwalts‑ und Gutachterkosten sind Verwaltungskosten im Sinne des § 16 WEG und gehören in den Wirtschaftsplan gemäß § 28 WEG. Weil Streitwerte und Verfahrensdauern stark variieren, ist ein mehrstufiges Budgetmodell sinnvoll: Ein Startbudget deckt Analyse, Erstkorrespondenz und Vergleichsversuche; ab 80 Prozent Ausschöpfung informiert die Kanzlei über den Stand und den zu erwartenden weiteren Aufwand; für Beweisaufnahme, Sachverständige, Berufung oder umfangreiche Vergleichsverhandlungen beschließt die GdWE auf Basis dieses Berichts nach. Parallel ist die Liquidität zu sichern: Stimmen die Vorschüsse nicht, drohen Unterdeckungen; Abhilfe schaffen eine Anpassung der Vorschüsse oder – bei Großverfahren – eine zweckgebundene Sonderumlage. Für Transparenz in Jahresabrechnung und Vermögensbericht empfiehlt sich eine eigene Kostenzeile für „juristische Beratung/Prozessführung“, damit Eigentümer Zahlflüsse nachvollziehen können und Entlastungen nicht an formalen Unklarheiten scheitern.
Gleichzeitig bleibt die Abgrenzung zu Werkleistungen entscheidend: Während bei Kanzleien kein Angebotswettbewerb gefordert ist, erwartet ordnungsmäßige Verwaltung bei Handwerker‑ und Instandsetzungsverträgen regelmäßig drei vergleichbare Angebote, eine Gegenüberstellung von Leistungsinhalten, Gewährleistungsumfängen und Preisen sowie eine dokumentierte Auswahlentscheidung. Weil in Anfechtungsverfahren selbst erfolgreiche Kläger mittelbar über ihre Miteigentumsanteile an Gemeinschaftskosten partizipieren, lohnt vor Klageerhebung eine nüchterne Kosten‑Nutzen‑Abwägung; eine praxisnahe Einordnung der Lasten findet sich im Beitrag Verteilung der Anwalts- und Gerichtskosten bei einer Anfechtung: Verteilung der Anwalts- und Gerichtskosten bei einer Anfechtung.
Auswahlkriterien, Nachvollziehbarkeit und Aktenführung
Auch ohne Angebotsvergleich braucht die Kanzleiauswahl einen klar dokumentierten Sachgrund. Geeignete Kriterien sind Spezialisierung im WEG‑ und Immobilienrecht (Publikationen, einschlägige Verfahren), forensische Erfahrung am zuständigen Amts‑/Landgericht, personelle Verfügbarkeit in kritischen Fristenfenstern, Erreichbarkeit und Kommunikationsqualität (strukturierte Schriftsätze, verständliche Memos) sowie sichere digitale Zusammenarbeit (verschlüsselte E‑Mail, geschütztes Dokumentenportal, revisionssichere Ablage). Diese Kriterien gehören in die Beschlussbegründung oder in eine kurze Anlage; handwerkliche Vergabematrizen sind nicht erforderlich, aber ein schlankes, prüfbares Begründungsraster ist sinnvoll.
In die Akte aufgenommen werden sollten Beschluss, Mandatsbestätigung, Vollmacht, Vergütungsabrede (RVG/Honorar), Berichts‑ und Budgetregeln, Fristenkalender mit Wiedervorlagen, Beleg‑ und Zeiterfassungen. Ein festes Reporting‑Schema der Kanzlei (zum Beispiel quartalsweise oder nach Meilensteinen) erleichtert die Steuerung durch Verwalter und Beirat. Wer diese Organisationsfragen gleich im Verwaltervertrag regeln möchte (Schwellenwerte, Berichtspflichten, Eilfall‑Handlungsspielräume), findet Orientierung im Beitrag WEG‑Verwaltervertrag: Worauf sollten Eigentümer bei einem WEG‑Verwaltervertrag achten?. Für die Durchführung von Beschlüssen in gemischten Formaten helfen zudem die organisatorischen Hinweise aus dem Beitrag zur hybriden Versammlung, insbesondere zu TOP‑Texten, Protokollstringenz und Techniktests: Worauf ist bei einer hybriden Eigentümerversammlung zu achten?.
Sonderfragen: Sachverständige, getrennte Beschlüsse, Nachgenehmigung
Die Kernaussage des BGH betrifft nicht nur Anwälte, sondern gleichermaßen Sachverständige: Auch hier ist kein formaler Angebotswettbewerb vorgeschrieben; entscheidend ist die passgenaue Eignung. Für die GdWE bietet es sich an, einen einheitlichen „Professional‑Services‑Prozess“ zu etablieren: saubere Einladung, knapper Beschluss mit Auftragsziel, Budget und Berichtswesen, kurze Begründung der Auswahl und frühzeitige Liquiditätsplanung. Zulässig und empfehlenswert sind getrennte Abstimmungen über Mandat und Vergütung in derselben Sitzung; das schafft Transparenz und klare Mehrheitsverhältnisse.
Besonders praxisrelevant ist die Nachgenehmigung: Hat der Verwalter aus echter Eilbedürftigkeit kurzfristig beauftragt, kann die GdWE dieses Vorgehen in der nächsten Versammlung billigen, Budgetgrenzen setzen und Berichtspflichten definieren; die Maßnahme muss in Zweck, Umfang und Kosten angemessen sein und dem Maßstab ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Wo Präsenztermine scheitern, ist – vorbehaltlich der gesetzlichen Vorgaben – der Umlaufbeschluss ein valider Ausweg; der strukturierte Ablauf und die Dokumentationsanforderungen sind im genannten Leitfaden zum Umlaufbeschluss komprimiert dargestellt. Zur Vermeidung von Folgekosten empfiehlt sich ein enger Takt an Zwischenberichten, ein klarer Eskalationsmechanismus für Mehrbedarf und, je nach Streitwert, die Prüfung von Rechtsschutzlösungen, die das Gemeinschaftsbudget schonen. So verbindet die Gemeinschaft Handlungsfähigkeit mit demokratischer Kontrolle, ohne in administrativen Leerlauf zu geraten.
Muster‑Beschlussvorlage
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer [Bezeichnung, Adresse] beschließt:
- Beauftragung: Die Kanzlei [Name, Sitz] wird mit der Beratung und, falls erforderlich, Prozessvertretung in der Angelegenheit [kurze Bezeichnung, zum Beispiel „Anfechtung des Beschlusses vom …, TOP …“] mandatiert.
- Vergütung und Budget: Abrechnung nach RVG; ergänzend wird eine Budgetobergrenze von [Betrag] Euro netto festgelegt. Bei Erreichen von 80 Prozent des Budgets berichtet der Verwalter schriftlich; eine Budgeterhöhung bedarf eines Nachbeschlusses.
- Befugnisse des Verwalters: Der Verwalter wird bevollmächtigt, Vollmacht zu erteilen, Fristen zu disponieren, Vergleichsverhandlungen zu führen und notwendige Verfahrenshandlungen vorzunehmen; vor einem verbindlichen Vergleich ist ein gesonderter Beschluss einzuholen.
- Dokumentation: Der Verwalter legt der nächsten Versammlung einen Zwischenbericht mit Kostenstand, Verfahrensstatus und Handlungsempfehlung vor.
- Eilfall/Nachgenehmigung: Soweit in der Sache bereits unaufschiebbare Schritte veranlasst wurden, genehmigt die GdWE diese hiermit nachträglich.
Fazit zum Thema
Die Entscheidung V ZR 76/24 verschiebt den Fokus von formalen Angebotszahlen hin zur materiellen Eignung der beauftragten Profis. Rechtssicher wird die Mandatierung durch eine präzise Einladung, einen klaren Beschluss, ein realistisches Budget mit Eskalationslogik, nachvollziehbare Auswahlgründe und saubere Aktenführung. Wer Professional‑Services (Anwälte, Gutachter) konsequent von Werkleistungen trennt, Umlauf‑ und Hybridformate rechtssicher nutzt und frühzeitig Liquidität plant, wahrt Handlungsfähigkeit, minimiert Streit‑ und Kostenrisiken und erhöht die Akzeptanz der Entscheidungen in der Gemeinschaft.

